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Beitrag von Staatsminister a. D. Dr. Michael Vesper (GRÜNE),
Weil das so ist, kommen wir mit Sonntagsreden, mit Beschwörungen, mit wunderbar formulierten Postulaten nicht weiter. Wirklichkeit ist konkret und sie ist oft unbefriedigend. Das ist so wie mit dem Subventionsabbau: Beifall auf der ganzen Linie, solange man ihn allgemein fordert, aber ebensogroße Gegnerschaft sobald man ihn in konkretes Handeln übersetzt. Dann kommen Interessen ins Spiel, und die sind in einer differenzierten Gesellschaft wie der unseren oft gegensätzlich, sogar einander ausschließend. Diese unterschiedlichen Interes-sen zu regulieren, ohne Gewalt anzuwenden, das ist Auftrag und Leistung der Demokratie. Von daher widerspreche ich den gut gemeinten Ausführungen von Lucia Fronza-Crepaz, die konkrete Problemlösungen betreffen - jedenfalls soweit sie diese verallgemeinert. Gewiss, es gibt ethische Grundfragen wie den Embryonenschutz, die sich Fraktionszwängen und vordergründigem politischem Streit entziehen (sollten). Aber das kann nicht und darf nicht der postulierte Regelfall sein. Nach meiner Erfahrung bringt es nichts, "Einstimmigkeit für ein Dokument herzustellen, das wir im-mer wieder umformuliert hatten, damit jeder sich darin wieder finden konnte". Meist handelt es sich dann um Formelkompromisse, die auf dem Papier gut aussehen, aber keine praktische Relevanz haben. Ich sage es noch schärfer: Streit gehört konstitutiv zur Demokratie. Er ist nichts anderes als das Ringen um die beste Lösung. Meines Erachtens ist es weder möglich noch erstrebenswert, als politisches Konzept Einstimmigkeit anzustreben. Das sage ich auch vor dem Hintergrund des eingangs beklagten zunehmenden Desinteresses vieler Menschen an Politik. Nur im Konflikt lassen sich die unterschiedlichen Positionen schärfen, nur durch Abwägen von Pro und Kontra bilden sich qualifizierte Meinungen. Darum wird und muss es bei aller Geschwisterlichkeit auch "Kampfabstimmungen" geben, bei denen sich die Mehrheit (hoffentlich mit den besseren Argumenten) durchsetzt. Und da bin ich beim letzten Aspekt, den ich ansprechen will: nämlich der Frage, wie eine Regierung funktioniert. Als Neu-Oppositioneller bin ich da unbelastet. Eine Regierung, die auf wechselnden, beliebigen Mehrheiten fußt, wird am Ende nichts durchsetzen können, sondern scheitern. Darum finde ich es richtig, dass Abgeordnete - jenseits der großen Gewissensfragen - im politischen Alltag auch einmal eigene Bedenken zurückstellen, wenn sie sich intern mit ihrer Meinung nicht durchsetzen können. Um nicht missverstanden zu werden: Der erste Golfkrieg, den Lucia Fronza-Crepaz erwähnt, ist sicherlich eine solche Gewissensfrage, deren Dimension so groß ist, dass man darüber auch eine Regierung bewusst scheitern kann und sollte. Aber diese Dimension ist nicht alltäglich. |
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